Dienstag, 10. Mai 2011

Wohin zuerst fliegen?

Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt - bevor man diesen unternimmt, sollte man sich allerdings zuerst überlegen, wo man eigentlich hin möchte.

Als John F. Kennedy 1962 seine berühmte Ansprache hielt, war das Ziel klar: Der Trabant der Erde, der Mond! Die Natur hat es uns in dieser Hinsicht leicht gemacht, einen ersten Schritt in den Kosmos hinaus zu wagen - sie hat uns einen fast planetengroßen Körper quasi vor die Haustür gelegt. Man fühlt sich ein wenig an die Plattformen erinnert, die vor manchen Badestränden im tieferen Wasser verankert sind. Hier können frischgebackene Schwimmer ihr Können erproben und zu einem unübersehbaren Ziel schwimmen, ohne sich gleich auf den Weg bis zur nächsten Insel machen zu müssen.

Heutzutage ist die Situation etwas kniffliger. Dass Menschen erfolgreich auf dem Mond landen und zurückkehren können, haben amerikanische Astronauten mehrfach unter Beweis gestellt. Die Frage lautet also, wohin als nächstes? Welche Himmelskörper sollten Menschen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten anvisieren?

Schauen wir uns also erstmal an, welche Objekte sich in der näheren und ferneren Umgebung der Erde befinden.


1. Der altbekannte Mond!


Eugene A. Cernan (Apollo 17) mit dem Rover auf 
dem Mond. Bild: NASA (via Wikimedia Commons)

Von allen Körpern in unserem Sonnensystem ist er der Erde am nächsten (abgesehen von Kleinkörpern, die von Zeit zu Zeit innerhalb der Mondbahn auftauchen). Die Idee, zu ihm zurückzukehren, wurde von Alfred E. Neumann George W. Bush 2004 in seiner nach dem Columbia-Unglück formulierten "Vision for Space Exploration" als Ziel der amerikanischen Raumfahrt festgelegt (dies war übrigens so gut wie das einzige Mal, dass Dubya sich zum Thema Raumfahrt äußerte). Auch China und Indien spielen mit dem Gedanken, eigene Raumfahrer auf den Mond zu schicken - im Fall Chinas ist dies bereits ziemlich konkret für die 2020er beschlossen. Während es für die neue asiatische Großmacht wohl eher eine Demonstration von Stärke und technologischem Können sein wird - wie für die USA in den 1960ern und '70ern - stellt sich im Falle Amerikas die Frage, weshalb man den gleichen Körper nochmal besuchen sollte. Das "Apollo-Syndrom" - landen, einige Experimente durchführen, Proben entnehmen, Flagge aufstellen, wieder abreisen - sollte sich nicht wiederholen: Wenn man den Mond erneut besucht, sollte das Ziel sein, dort längerfristig zu verweilen und eine Basis aufzubauen, in der zukünftig Menschen wohnen, arbeiten, experimentieren und eventuell Rohstoffe abbauen können.


2. Mars


Der Mars, aus dem Orbit von Viking (1976) aufgenommen.

Er ist wahrscheinlich der bekannteste Planet unseres Sonnensystems und im öffentlichen Bewußtsein durch zahllose Filme, Romane u. ä. als "nächstes Ziel der Menschheit" fest verankert. Einen bemannten Marsflug könnte man der Öffentlichkeit daher vermutlich besonders leicht "verkaufen" - jeder weiß so mehr oder weniger, was der Mars ist oder kann sich zumindest etwas darunter vorstellen. Auch Bushs "Vision for Space Exploration" sah ihn als nächstes Ziel nach der Rückkehr zum Mond vor. Nachdem Barack Obama im Jahr 2010 erklärte, dass sich in Zukunft private Unternehmen verstärkt an der Raumfahrt beteiligen sollten, verkündete der Unternehmer Elon Musk vor kurzem, seine Firma SpaceX werde bis 2020 einen Menschen auf dem Mars landen lassen und den Aufbau einer ständig bemannten Marskolonie vorbereiten.


3. Deimos und Phobos (die Marsmonde)

Eine interessante Alternative zu einer direkten Landung auf dem roten Planeten wäre ein Besuch der beiden winzigen Marsmonde. Da diese extrem wenig Masse aufweisen, wäre eine Landung hier mit bedeutend weniger Treibstoff durchführbar. Von den Monden aus könnten Astronauten Roboter auf der Marsoberfläche in Echtzeit steuern, ohne minutenlange Signallaufzeiten in Kauf nehmen zu müssen.

Die geplante russische (unbemannte) Fobos-Grunt-Mission soll zum ersten Mal auf einem Marsmond landen und Material zur Erde zurückbringen.


4. Venus


Die Venus (NASA). Die Wolkendecke besteht u. a.
aus Schwefelsäure, auf der Oberfläche herrschen
höllische Bedingungen. Der Name der römischen
Liebesgöttin scheint hier etwas unangemessen.

Eine fast vergessene Alternative zum Mars! Aufgrund der mörderischen Bedingungen auf der Venusoberfläche - 90 Bar Druck, 480 Grad Celsius - wäre jedoch nur an einen Vorbeiflug zu denken, eine Landung wird in absehbarer Zukunft technisch kaum durchführbar sein. Möglicherweise wäre es jedoch denkbar, mithilfe von Ballons oder zeppelinartigen Fluggeräten in die Hochatmosphäre der Venus vorzudringen.

In den 1960ern überlegte die NASA, die Hardware des Apollo-Programms zu nutzen, um Astronauten auf eine Flyby-Mission zur Venus zu schicken. Dies wurde jedoch nicht durchgeführt.


5. Erdnahe Asteroide


Kein Schuh, der erste entdeckte erdnahe Asteroid:
433 Eros.

Viele Asteroide kommen auf ihrem Umlauf um die Sonne der Erde relativ nah, so zog zum Beispiel 4179 Toutatis im Jahr 2004 in nur vier Mondbahnradien Entfernung an der Erde vorbei. Im November dieses Jahres wird der Asteroid 2005 YU55 sich der Erde sogar bis auf 325 000 km annähern - dies liegt bereits innerhalb der Mondbahn! Die Landung auf diesen Körpern wäre, ähnlich wie bei den Marsmonden, mit sehr geringen Treibstoffmengen möglich. Die Tatsache, dass viele Asteroide extrem reich an industriell wertvollen Metallen sind, läßt ihre Erforschung besonders attraktiv erscheinen. Auch könnten Kenntnisse über ihren Aufbau nützlich werden, falls es irgendwann erforderlich sein sollte, die Bahn eines Asteroiden zu verändern um einen Einschlag auf der Erde zu verhindern.

Eine gewisse Schwierigkeit bei Landungen auf Kleinkörpern könnte sich allerdings daraus ergeben, dass ihre Schwerkraft extrem gering ist: Es wäre für Astronauten kaum möglich, auf ihnen im üblichen Sinn zu laufen, da die Fluchtgeschwindigkeiten nur bei wenigen Metern pro Sekunde liegen und ein etwas energischerer Schritt daher bereits ausreichen würde, um einen unglücklichen Raumfahrer in die Unendlichkeit zu katapultieren. Die Astronauten müssten sich, ähnlich wie Bergsteiger, irgendwie an der Oberfläche verankern. Alternativ könnte ihre Fortbewegung einfach durch Jetpacks erfolgen. Im Fall eisenreicher Oberflächen ließe sich auch über magnetische Schuhe nachdenken - allerdings entzieht es sich zur Zeit meinen Kenntnissen, ob solche jemals außerhalb der Science Fiction erfolgreich genutzt wurden. Es wäre vermutlich sehr anstrengend und kompliziert, damit zu laufen.

Flüge zu erdnahen Asteroide wurden auch von Barack Obama im April 2010 in einer Rede, in der er als neues Ziel der amerikanischen Raumfahrt eine permanente Präsenz im Kosmos unter verstärkter Beteiligung privater Unternehmen vorgab, für das Jahr 2025 in Aussicht gestellt.

Bei Asteroidenmissionen ließen sich auch Erfahrung für Expeditionen Richtung Mars (oder Venus?) sammeln - insbesondere wie sich längerfristige Aufenthalte von Menschen außerhalb der Erdmagnetosphäre möglichst gesundheitsverträglich gestalten lassen, vor allem bezüglich der Abschirmung von Strahlung.


Wie könnte nun eine gute Raumfahrtstrategie aussehen? Stellen wir zunächst das Organisatorische hintan - ob das Programm von den USA, einem anderen Staat, einem Staatenbund, oder von privaten Konzernen durchgeführt wird, soll fürs Erste Nebensache sein. Es geht mir vorerst um technische Aspekte.

Dazu kann man sich bildlich eine "Leiter ins Weltall" vorstellen. Jede Sprosse entspricht einem weiteren Schritt. Ich möchte hier mit einer kleinen Übersicht zeigen, wie die ersten Leitersprossen nach meinen Vorstellungen aussehen könnten:


1. Billiger Zugang zum Low Earth Orbit (LEO)

Das eigentlich schwierige an der Raumfahrt sind die ersten 400 Kilometer. Wenn man es erstmal geschafft hat, eine niedrige Umlaufbahn zu erreichen, ist es verhältnismäßig leicht, jeden Himmelskörper des Sonnensystems anzufliegen (mehr darüber in einem späteren Artikel!). Um den Kosmos in großem Stil zu erschließen, ist es daher unerlässlich, zuverlässige, schnelle und billige Transportmöglichkeiten zum LEO zu entwickeln. Dies war bei der Entwicklung des Space Shuttles das vorgesehene Ziel, das jedoch nicht erreicht wurde, da der Betrieb der Raumfähren teurer und schwieriger wurde als beabsichtigt - was nicht zuletzt daran lag, dass der externe Tank (die "Zigarre", an der das Shuttle beim Start hängt) nicht wiederverwendbar ist. Mit der Einmottung der Shuttles im Laufe dieses Jahres werden wieder nur konventionelle Trägerrakten zur Verfügung stehen, wie sie seit den 1950ern eingesetzt werden. Es gibt jedoch verschiedene Möglichkeiten, dieses Problem in Angriff zu nehmen. Egal, ob es sich um Weltraumflugzeuge nach der Art des Skylons von der Firma Reaction Engines Ltd., um SSTO-Raketen (Single Stage to Orbit: Raketen, die das LEO mit einer einzigen Stufe erreichen können), oder um exotischere Technologien wie elektromagnetische Katapulte handeln wird: Erst wenn Systeme zur Verfügung stehen, mit denen sich schnell viel Material in niedrige Umlaufbahnen bringen lässt, wird es möglich sein, Raumfahrt in größerem Umfang zu betreiben.

Idealerweise sollten diese Systeme komplett wiederverwendbar sein. Anders als die gebräuchlichen "Wegwerfraketen" aus nacheinander wegfallenden Stufen, sollte das gesamte Gerät nach jedem Flug nur eine kurze Wartungsphase durchlaufen müssen, um dann frisch betankt erneut aufsteigen zu können - ähnlich einem Verkehrsflugzeug. Interessanterweise wurden Raumfahrzeuge aus diesem Grunde bisher von Ingenieuren oft eher als Munition als als Flugzeuge angesehen: Das meiste Material wurde unterwegs abgeworfen und stand nicht zu einem erneuten Einsatz zur Verfügung. Mit der Entwicklung vollständig wiederverwendbarer Systeme könnte sich das rasch ändern.


2. Bau von Werften und Treibstofflagern im LEO

Der nächste Schritt sollte sein, in niedrigen Umlaufbahnen eine Infrastruktur zum Bau und Betanken von Schiffen einzurichten. Hierzu könnten größere Geschwister der ISS dienen: Ständig bemannte Raumstationen, in deren Nähe große interplanetare Raketen zusammengebaut werden können. Diese werden möglicherweise über NERVA-artige Nukleartriebwerke verfügen (später über Fusionsantriebe) und Wasserstoff als Reaktionsmasse nutzen. Letzterer könnte einerseits als Press- oder Flüssiggas in kugelförmigen Tanks gelagert werden, andererseits aber auch in Form von Wasser, was zwei Vorteile hätte: Zum einen ist Wasser wesentlich weniger flüchtig als Wasserstoff und neigt nicht dazu, durch Stahlwände zu diffundieren, andererseits entsteht bei der Spaltung von Wasser auch Sauerstoff, der sowohl für Lebenserhaltungssysteme wie auch als Oxydator für chemische Antriebe zur Verfügung stünde. Zur Spaltung wäre allerdings eine zusätzliche Energiequelle erforderlich - ein Kernreaktor oder Solarkollektoren.

Die bemannten Teile der Stationen könnten aus Rotationszellen bestehen, um den Besatzungen eine gewisse Schwere zu verleihen. Später ließen sich einige der Stationen auch ganz allmählich anheben (z. Bsp. durch Ionentriebwerke), bis sie eine geostationäre Umlaufbahn in 30 000 km Höhe erreichen. Dort könnten sie dann als "Kopfbahnhöfe" für Orbitallifte dienen.


Konzept einer großen Raumstation im LEO.
Artwork by Robert T. McCall.

3. Erdnahe Asteroide - wir kommen!

Aus den oben erwähnten Gründen sind erdnahe Asteroide eines der attraktivsten Ziele jenseits der Mondbahn. Bemannte Flüge zu ihnen werden dabei hilfreich sein, spätere Bergbaumissionen vorzubereiten und Erfahrungen für weiterreichende Missionen ins Sonnensystem zu sammeln.


4. Vom Mars zurück zum Mond und weiter zur Venus

In welcher Reihenfolge man die folgenden Schritte durchführt ist eigentlich irrelevant. Wenn es darum geht, einen Planeten nur zu besuchen und sich nicht dauerhaft niederzulassen, könnte es am sinnvollsten sein, zuerst den Mars anzufliegen, da der Erdtrabant bereits mehrfach Besuch bekommen hat. Aber auch ein Venus-Flyby wäre eine interessante Option. Später wird man die Sphäre dauerhafter menschlicher Präsenz weiter nach draußen schieben - mit einer ständig bemannten Mondbasis. Große, interferometrisch zusammengeschaltete Teleskope auf der Mondoberfläche werden unter anderem nach erdähnlichen Exoplaneten suchen, die als Ziel für interstellare Missionen in Frage kommen, und der Regolith (der Mondstaub) könnte als Quelle von Helium-3 als Brennstoff für Fusionsreaktoren bedeutsam werden.


So könnten die ersten Schritte ins Sonnensystem aussehen. Aber das ist natürlich erst der Anfang! Mit etwas Glück werden wir gegen Ende des 21. oder zu Beginn des 22. Jahrhunderts bemannte Forschungsstationen im Orbit um die Gasriesen sehen. Und die ersten vorsichtigen Überlegungen in Richtung interstellare Raumfahrt werden bereits heute angestellt.

Zum Schluß dieses Artikels möchte ich einfach Konstantin Ziolkowski (den Urvater der modernen Raumfahrttechnik) sprechen lassen: "Es stimmt, die Erde ist die Wiege der Menschheit, aber der Mensch kann nicht ewig in der Wiege bleiben."

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